„Die Abwesenheit des Guten oder der nicht enden wollende Zusammenbruch der Sowjetunion“

Am zweiten Juni war der Fotograf Siegfried Wittenburg ein weiteres Mal zu Gast in der Hanse-Schule. Wie schon bei seinen Besuchen zuvor brachte er nicht nur Fotos aus seiner langjährigen Arbeit sondern auch eine Stück Geschichte und eine Vielzahl persönlicher Erinnerungen mit.

Annähernd 200 Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichsten Berufsschulklassen und der Ausbildungsvorbereitung lauschten seinen Worten, während Wittenburg den Bogen spannte von Macht und Pracht des Zarenreichs über Lenin und Stalin bis zur Sowjetunion in der Zeit des Kalten Krieges. Wittenburg, geboren 1952 in der Nähe von Rostock, erzählte von der Unfreiheit, wie er sie in seiner Jugend in der DDR erlebt hat und verdeutlichte seinen jungen Zuhörerinnen und Zuhörern, wie es war, unter sowjetrussischer Herrschaft zu leben. Das deutsch-russische Verhältnis wurde den Menschen in der DDR als „Deutsch-sowjetische Freundschaft“ verkauft, kam es allerdings zu Freundschaften, wurde der private Briefwechsel unterbunden. Das jedenfalls erlebte Wittenburg in der Folge seiner Reise nach Sibirien 1979, blieben doch seine Briefe an eine sehr gastfreundliche Frau dort, stets unbeantwortet.

Obwohl er nicht Mitglied in der in der Gesellschaft für Deutsch-sowjetische Freundschaft war, gewann er als junger Mann einen Fotowettbewerb dieser Organisation. Erst Jahre später erfuhr er, dass sein damaliger Betriebsleiter die Mitgliedschaft Wittenburgs in dieser Gesellschaft fingiert hatte, um als Betrieb keine Nachteile zu erfahren. Den Schülerinnen und Schüler wurde bewusst, dass es sich um ein Verhältnis von Macht und Abhängigkeit handelte, das den Namen Freundschaft trug. Das System bestehe darin, dem Menschen Angst einzujagen und wer Angst habe, habe schon verloren, denn er sei nicht mehr handlungsfähig, so Wittenburg.

Den Wert der Demokratie hob Wittenburg durchgängig hervor. Auf die Frage, was mit Menschen passiert, die ihre Meinung nicht frei äußern dürfen, antworteten die Schülerinnen und Schüler, dass es sie wütend machen würde und dass der Austausch von Ideen, gegenseitige Wertschätzung sowie ein friedliches gesellschaftliches Miteinander beeinträchtigt würden. Ebenso würde der wirtschaftliche Aspekt hinsichtlich Bildung und Forschung als Grundlage unseres Wohlstandes ausgebremst. Ganz besonders eindrucksvoll war seine Erinnerung an ein Mädchen, das ihn im Rahmen eines seiner Vorträge fragte, ob er denn nicht Verbesserungsbedarf bei der Ausgestaltung der jetzigen Demokratie sehe. „Ja, ganz gewiss, aber das ist jetzt eure Aufgabe“, antwortete Wittenburg. Somit hat er die junge Generation aufgefordert, den Staffelstab unseres demokratischen Systems aufzunehmen und diesen erfolgreich in die nächste Generation zu tragen.

Wiebke Hartmann und Jeannette Kopsch, Juni 2023