Im Rahmen des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus durften wir am 27. Januar 2020 den Zeitzeugen Tswi Josef Herschel, einen Überlebenden des Holocausts, sowie seine Tochter Natali Herschel zum zweiten Mal in der Hanse-Schule begrüßen. In zwei separaten Vorträgen berichtete der gebürtige Holländer insgesamt 400 Schülerinnen und Schülern aus der Emanuel-Geibel-Schule, Gewerbeschule Nahrung und Gastronomie und der Hanse-Schule sowie zahlreichen Lehrkräften aus seinem berührenden Leben. Mithilfe seines „Lebens-Kalenders“ erzählte er von einzelnen Lebensphasen, die sein Leben geprägt haben. Der „Lebens-Kalender“ ist ein Dokument bestehend aus 24 Bildern. Es zeigt das erhoffte Leben des Jungen Tswi, wie es sich sein Vater für seinen Sohn erträumt hatte. Erleben konnte sein Vater dies alles nicht, denn er wurde 1943 von den Nationalsozialisten in Sobibor ermordetet. Im Laufe des Vortrags nimmt Tswi Herschel immer wieder Bezug auf die Vorstellungen seines Vaters und sucht Parallelen zu seinem wirklichen Leben: In größter Verzweiflung haben seine jüdischen Eltern ihn als Baby in die Obhut einer befreundeten christlichen Familie gegeben. Aus Sicherheitsgründen noch einmal in fremde Hände gegeben, wuchs er mit fünf älteren Geschwistern als geliebter kleiner Prinz auf. Ein zweites Trauma erlitt er, als seine ihm unbekannte, überlebende Großmutter ich aus der Mitte der liebevollen Familie riss, um ihn im jüdischen Glauben groß zu ziehen.
Anschließend ergänzte Natali Herschel den Lebensbericht ihres Vaters mit ihren Erfahrungen in einer Familie aufzuwachsen, die dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen ist. Sie nahm in diesem Kontext Bezug auf einen Familienstammbaum und visualisierte die Unterschiede zwischen ihrem und einem gewöhnlichen Stammbaum. „Es gibt keine Großeltern, keine Tanten, keine Cousinen. Es bedarf vier Generationen, bis sich der Familienstammbaum erholt hat“ berichtete die Tochter des Zeitzeugen.
Die beeindruckten und betroffenen Schülerinnen und Schüler erhielten dann noch die Möglichkeit Fragen zu stellen. Sie wollten beispielsweise wissen, ob er mit seinen „Geschwistern“ aus der Pflegefamilie noch Kontakt gehalten habe. Herr Herschel berichtet stolz, dass er Pate seiner Neffen und Nichten aus der Familie de Jongh geworden sei. Zum Abschluss des Vortrags appellierte unser Gast an die Schülerinnen und Schüler, dass sie „Brücken bauen sollen. Nicht aus Holz, Metall oder Stein, sondern aus Mut und Toleranz“. Es sei Aufgabe eines jeden Einzelnen auch im Kleinen gegen Intoleranz und Ausgrenzung nicht nur zu argumentieren sondern vor allem zu handeln.
An dieser Stelle soll ein großer Dank an Herrn Herschel ausgesprochen werden, der es mit seiner Lebensgeschichte schafft, Erinnerungen lebendig zu halten. Zudem wollen wir uns auch bei seiner Tochter bedanken, die den ganzen Vortrag mit ihren Erfahrungen abrundete.
Ermöglicht wurde sein zweiwöchiger Besuch in Deutschland durch den gemeinnützigen Verein YadRuth e.V., deren Vorsitzende Gabriele Hannemann für die Gesamtorganisation verantwortlich zeichnet.
Ungewöhnlich war der Willkommensgruß an der Schule: Lichtinstallationskünstlerin Katrin Bethge hat drei Installationen vorbereitet, die eine einmalige Atmosphäre schufen. Herr Herschel hatte einen solchen Empfang noch nicht erlebt und sich sehr darüber gefreut. Ermöglicht wurde die Illumination der Hamburger Künstlerin durch die großzügige Spende der Possehl-Stiftung.
Jana Mizel, 27. Januar 2020