Mein elftes Gebot: „Du sollst Dich erinnern!“ (Freya Klier)[1]

Warum und wie Gesellschaften sich erinnern ist Grundthema des Zusammenlebens. Die Auseinandersetzung mit Geschichte erfolgt aus einer gegenwartsbezogenen Perspektive, um Gegenwart und Zukunft zu meistern. Am Wandel der Erinnerungskulturen lässt sich ablesen, dass jede Generation ihre Fragen an die Vergangenheit neu stellt und daher Geschichte auch immer wieder neu verhandelt wird[2]. Für zwei Berufsschulklassen war die Vorlesung von Freya Klier am 6. November 2019 in der Hanse-Schule eine Chance, in eine ihnen weitgehend unbekannte Welt einzutauchen. Freya Klier, Bürgerrechtlerin und Dissidentin der DDR, las aus ihrem neuen Buch vor „Und wo warst du? 30 Jahre Mauerfall“.

Frau Klier berichtete ausführlich, wie sich ihr Alltagsleben als Autorin und Schriftstellerin in einer Diktatur, der DDR, gestaltete. In ihren Ausführungen wurde sehr schnell deutlich, dass Frau Klier vom politischen System gegängelt wurde. In ihr wuchs der Wusch nach künstlerischer und persönlicher Freiheit. Der knapp anderthalbstündige Vortrag war detailreich und wuchtig, gespickt mit vielen Beispielen und gelebten Erinnerungen, wie die Staatssicherheit der DDR (Stasi) Einfluss auf die künstlerische Gestaltungsfreiheit von Frau Klier nahm. Sie berichtete von Fluchtversuchen, von Einschüchterungen gegen sich und ihrem Ehemann, Stephan Krawczyk, von ihrer Tochter und auch von ihrer Haft im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen (siehe Foto).

Wie wichtig es ist, Schüler zu informieren, zeigte sich im Nachgespräch des Besuches. Die nähere Vergangenheit der deutsch-deutschen Teilung ist vielen jungen Menschen nicht mehr im Detail geläufig. Die Zeitzeugin Klier verwies im Gespräch mit den angehenden Abiturienten auf mögliche Gefahren in der Gegenwart, die persönliche Freiheit des einzelnen Bürgers einzuschränken. Oral History par excellence. Die DDR war ein Unrechtsstaat. Nicht zufällig waren die Rufe der Montagsdemonstranten in Leipzig, Berlin und anderswo im Herbst 1989 so laut: Freiheit! Lübeck ist eine Stadt, die sich ihrer reichen Geschichte rühmt aber auch verantwortungsvoll der dunklen Kapitel seiner Geschichte erinnert. Die Hansestadt Lübeck war neben Berlin die „Frontstadt“ des Eisernen Vorhanges und ein Brennpunkt der Ereignisse rund um den Fall der Mauer. Wir als Schule gedenken des Falls des Eisernen Vorhanges an unserer Stadtgrenze.

Zum Erinnern und Nachlesen aus der Biographie der Bundesverdienstordenträgerin 2012 [4]: „Freya Klier leistete offen Widerstand gegen die SED-Diktatur und nahm die damit einhergehenden drohenden Konsequenzen für Berufs- und Privatleben in Kauf. Sie wurde mit anderen DDR-Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern unter dem Vorwurf des Landesverrats gegen ihren Willen ausgebürgert und kämpfte aus dem Westen weiterhin gegen die SED-Diktatur.

Heute setzt sie sich als Autorin und Regisseurin besonders für die Aufklärung über das SED-Regime und die Gestaltung der Deutschen Einheit ein. Sie erklärt in ihren Texten und Filmen was es bedeutet, eingesperrt zu sein und die eigene Meinung nicht frei äußern zu können; sie lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit auf einzelne Opfer. Sie spricht mit einer großen Leidenschaft seit über 20 Jahren – auf mehr als 1000 Veranstaltungen – vor allem mit jungen Menschen über das Leben unter der SED-Diktatur. Freya Klier setzt sich bis heute unermüdlich dafür ein, vor allem junge Schülerinnen und Schülern über das SED-Regime aufzuklären und über die Gestaltung der Einheit zu sprechen“.[5]

Die Regisseurin Freya Klier trug Ende der 1980er Jahre an führender Stelle zum Sturz der SED-Diktatur bei. 1950 in Dresden geboren, erlebte sie als kleines Kind die Verhaftung ihres Vaters, der 1953 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Nachdem 1966 auch ihr 17jähriger Bruder wegen „Staatsverleumdung“ zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, versuchte sie im Alter von 18 Jahren, die DDR mit einem schwedischen Handelsschiff zu verlassen. Sie wurde jedoch verraten und zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt, von denen sie insgesamt 12 Monate absaß. Fast alle ihre Inszenierungen erregten die Kritik der Parteiverantwortlichen und wurden deshalb nach kurzer Zeit wieder abgesetzt oder von anderen „uminszeniert“. Seit Anfang der 1980er Jahre engagierte sich Klier in der unabhängigen Friedensbewegung im Schutzraum der evangelischen Kirchen in der DDR. 1985 wurde sie aus dem DDR-Theaterverband ausgeschlossen und erhielt faktisch Berufsverbot. Mit ihrem damaligen Lebensgefährten Stephan Krawczyk stellte sie daraufhin gesellschaftskritische Programme zusammen, mit denen sie vor allem in Kirchen und Gemeinderäumen vor zahlreichen Zuschauern auftraten. Nach ihrer Ausbürgerung lebte und arbeitete Klier in West-Berlin. In zahlreichen Büchern und Filmen setzte sie sich für eine kritische Aufarbeitung der kommunistischen, aber auch der nationalsozialistischen Diktatur ein“ (gekürzt). Ermöglicht wurde der Besuch von Frau Klier durch die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Unser besonderer Dank geht an den Leiter des Länderbüros Norddeutschland Herrn Michael Anders und an den Mitarbeiter Herrn Timon Kolterjahn aus Schwerin, der Frau Klier an diesem Tag begleitete.

 

Freya Klier im Weißen Haus, mit Barack Obama und Angela Merkel

http://www.freya-klier.de/homepage/fotos.html

 

 

 

 

Klaus Senkbeil

[1] http://www.freya-klier.de/img/FreyaKlier_02_5475_web.jpg

[2] http://www.politischebildung.com/pdfs/32_printversion.pdf, Seite 3

[3] http://www.freya-klier.de/img/Klier_Hohensch%C3%B6nhausen_2.jpg

[4] https://www.bundesanzeiger.de/ebanzwww/wexsservlet?session.sessionid=f8c871b733e0d15468174f13c53fdaa5&page.navid=detailsearchlisttodetailsearchdetail&fts_search_list.selected=4a6d2be375fec6a5&fts_search_list.destHistoryId=60518

[5] http://www.bpb.de/presse/198252/laudatio-von-thomas-krueger-zur-preisverleihung-zum-wettbewerb-25-jahre-mauerfall-geschichte-erinnern-gegenwart-gestalten-in-der-vertretung-des-landes-brandenburg-beim-bund-am-9-dezember-2014-in-berlin